Seite 39 - Der gro

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Die Zerstörung Jerusalems
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Titus hätte der Schreckensszene gern ein Ende gemacht und
damit der Stadt Jerusalem das volle Maß ihres Gerichtes erspart.
Entsetzen packte ihn, als er die Leichname der Erschlagenen hau-
fenweise in den Tälern liegen sah. Wie überwältigt schaute er vom
Gipfel des Ölberges auf den herrlichen Tempel und gab Befehl, nicht
einen Stein davon zu berühren. Ehe er daranging, diese Stätte einzu-
nehmen, beschwor er die jüdischen Führer in einem ernsten Aufruf,
ihn nicht zu zwingen die heilige Stätte mit Blut zu entweihen. Wenn
sie herauskommen und an irgendeinem andern Ort kämpfen wollten,
so sollte kein Römer die Heiligkeit des Tempels verletzen. Josephus
gar forderte sie mit höchst beredten Worten auf, den Widerstand
einzustellen und sich selbst, ihre Stadt und die Stätte der Anbetung
zu retten. Aber seine Worte wurden mit bitteren Verwünschungen
beantwortet. Wurfspieße schleuderte man nach ihm, ihrem letzten
menschlichen Vermittler, als er vor ihnen stand, um mit ihnen zu
verhandeln. Die Juden hatten die Bitten des Sohnes Gottes verwor-
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fen, und nun machten die ernsten Vorstellungen und flehentlichen
Bitten sie nur um so entschiedener, bis zum letzten Widerstand zu
leisten. Die Bemühungen des Titus, den Tempel zu retten, waren
vergeblich. Ein Größerer als er hatte erklärt, daß nicht ein Stein auf
dem andern bleiben sollte.
Die blinde Hartnäckigkeit der führenden Juden und die verab-
scheuungswürdigen Verbrechen, die in der belagerten Stadt verübt
wurden, erweckten bei den Römern Entsetzen und Entrüstung, und
endlich beschloß Titus, den Tempel im Sturm zu nehmen, ihn aber,
wenn möglich, vor der Zerstörung zu bewahren. Seine Befehle wur-
den jedoch mißachtet. Als er sich abends in sein Zelt zurückgezogen
hatte, unternahmen die Juden einen Ausfall aus dem Tempel und
griffen die Soldaten draußen an. Im Handgemenge wurde von einem
Soldaten ein Feuerbrand durch die Öffnung der Halle geschleudert,
und unmittelbar darauf standen die mit Zedernholz getäfelten Räume
des heiligen Gebäudes in Flammen. Titus eilte mit seinen Obersten
und Legionären herbei und befahl den Soldaten, die Flammen zu
löschen. Seine Worte blieben unbeachtet. In ihrer Wut schleuderten
die Legionäre Feuerbrände in die an den Tempel stoßenden Ge-
mächer und metzelten viele, die dort Zuflucht gesucht hatten, mit
dem Schwert nieder. Das Blut floß gleich Wasser die Tempelstufen
hinunter. Tausende und aber Tausende von Juden kamen um. Das