Seite 61 - Der gro

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Der Abfall
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übte. Die Sünde war unter dem Gewand der Heiligkeit verborgen.
Wenn die Heilige Schrift unterdrückt wird und Menschen sich selbst
an die oberste Stelle setzen, können wir nichts anderes erwarten
als Betrug, Täuschung und erniedrigende Ungerechtigkeit. Mit der
Höherstellung menschlicher Gesetze, Überlieferungen und Verord-
nungen wurde die Verderbnis offenbar, die stets aus der Verwerfung
göttlicher Gebote hervorgeht.
Dies waren Tage der Gefahr für die Gemeinde Christi. Der treuen
Bannerträger waren wahrlich wenige. Obwohl die Wahrheit nicht
ohne Zeugen blieb, schien es doch zuweilen, als ob Irrtum und
Aberglaube vollständig überhandnehmen wollten und die wahre
Religion von der Erde verbannt würde. Man verlor das Evangelium
aus den Augen, religiöse Bräuche hingegen wurden vermehrt und
die Menschen mit übermäßig harten Anforderungen belastet.
Sie wurden nicht nur gelehrt, den Papst als ihren Mittler zu
betrachten, sondern auch zur Versöhnung ihrer Sünden auf ihre ei-
genen Werke zu vertrauen. Lange Pilgerfahrten, Bußübungen, die
Anbetung von Reliquien, die Errichtung von Kirchen, Kapellen und
Altären, das Bezahlen hoher Geldsummen an die Kirche — diese
und viele ähnliche Werke wurden den Menschen auferlegt, um den
Zorn Gottes zu besänftigen oder sich seiner Gunst zu versichern, als
ob Gott, gleich einem Menschen, wegen Kleinigkeiten erzürnt oder
durch Gaben und Bußübungen zufriedengestellt werden könnte.
Obgleich die Sünde selbst unter den Führern der römischen Kir-
che überhandnahm, der Einfluß der Kirche schien dennoch ständig
zu zu wachsen. Etwa Mitte des achten Jahrhunderts erhoben die
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Verteidiger des Papsttums den Anspruch, daß im ersten Zeitalter der
Kirche die Bischöfe von Rom die gleiche geistliche Macht besessen
hätten, die sie sich jetzt anmaßten. Um diesen Anspruch geltend zu
machen, mußte irgendein Mittel angewandt werden, um ihm den
Schein von Autorität zu verleihen, und dies wurde von dem Vater
der Lüge bereitwillig ins Werk gesetzt. Alte Handschriften wur-
den von Mönchen nachgeahmt; bis dahin unbekannte Beschlüsse
von Kirchenversammlungen wurden entdeckt, die die allgemeine
Oberherrschaft des Papstes von den frühesten Zeiten an bestätig-
ten. Und eine Kirche, die die Wahrheit verworfen hatte, nahm diese
Fälschungen begierig an. (Siehe Anm. 007)