Seite 301 - Das Leben Jesu (1973)

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Die Bergpredigt
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die im Gottesdienst geforderten Handlungen kein bedeutungsloser
Formendienst wie bei den heuchlerischen Pharisäern.
Jesus erklärt jedes einzelne Gebot in dem ganzen Umfang sei-
ner Anforderungen. Statt auch nur ein Tüpfelchen seiner Bedeutung
wegzunehmen, zeigt er, wie weitreichend seine Grundsätze sind, und
enthüllt den verhängnisvollen Irrtum der Juden, lediglich äußeren
Gehorsam zur Schau zu tragen. Er erklärt, daß schon durch einen
bösen Gedanken oder einen verlangenden Blick das Gesetz Gottes
übertreten wird. Jeder, der sich an der kleinsten Ungerechtigkeit
beteiligt, bricht das Gesetz und erniedrigt seinen eigenen sittlichen
Charakter. Ein Mord beginnt schon im Herzen; wer Haß im Her-
zen nährt, betritt damit schon den Pfad des Mörders. Und solcher
Menschen Opfer verabscheut Gott.
Die Juden pflegten einen Geist der Wiedervergeltung. In ihrem
Haß gegen die Römer sprachen sie schwere Beschuldigungen aus
und erfreuten Satan, indem sie solche Eigenschaften bekundeten.
Auf diese Weise bildeten sie sich selbst dazu aus, die schrecklichen
Taten zu begehen, zu denen er sie anleitete. In dem religiösen Leben
der Pharisäer gab es nichts, was den Heiden als Vorbild hätte die-
nen können. Jesus ermahnte sie, sich nicht durch den Gedanken zu
betrügen, daß sie sich im Herzen gegen ihre Unterdrücker aufleh-
nen dürften, noch das Verlangen zu nähren, das erlittene Unrecht zu
rächen.
Wohl gibt es auch eine Entrüstung, die selbst bei den Nachfolgern
Christi entschuldbar ist. Wenn sie sehen, daß Gott oder sein Dienst
entehrt wird oder wenn Unschuldige unterdrückt werden, dann kann
ein gerechter Zorn die Seele erregen. Solcher Zorn, aus hohem
sittlichem Empfinden geboren, ist keine Sünde. Wer sich jedoch bei
jeder vermeintlichen Kränkung bewogen fühlt, dem Ärger oder Groll
Raum zu geben, öffnet Satan sein Herz. Bitterkeit und Feindschaft
müssen aus der Seele verbannt werden, wenn wir in Harmonie mit
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dem Himmel leben wollen.
Der Heiland geht noch weiter. Er sagt: „Wenn du deine Gabe
auf dem Altar opferst und wirst allda eingedenk, daß dein Bruder
etwas wider dich habe, so laß allda vor dem Altar deine Gabe und
gehe zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder und alsdann
komm und opfere deine Gabe.“
Matthäus 5,23.24
. Viele wirken
eifrig für den Herrn, und doch herrschen zwischen ihnen und ihren