Seite 585 - Das Leben Jesu (1973)

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Der Tempel wird wieder gereinigt
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seine Göttlichkeit, goß aber anderseits neues Öl auf die Wogen ihres
Zornes.
In seinem Streitgespräch mit den Rabbinern war es keineswegs
Jesu Absicht, seine Widersacher öffentlich zu demütigen. Er freute
sich durchaus nicht, sie in die Enge getrieben zusehen. Er hatte nur
eine notwendige Lehre gegeben. Seine Gegner fühlten sich dadurch
herausgefordert, daß er zuließ, daß sie sich in die Netze verstrickten,
die sie für ihn ausgeworfen hatten. Indem sie bekannten, über das
Wesen der Taufe des Johannes nichts zu wissen, gaben sie Jesus
Gelegenheit zu sprechen, und er benutzte sie, um ihnen ihre wahre
Lage zu zeigen und den vielen Warnungen an sie noch eine neue
hinzuzufügen.
„Was dünkt euch aber?“ fragte Jesus. „Es hatte ein Mann zwei
Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, gehe hin
und arbeite heute im Weinberge. Er antwortete aber und sprach: Ja,
Herr! und ging nicht hin. Und er ging zu dem anderen und sprach
gleich also. Der antwortete aber und sprach: Ich will‘s nicht tun.
Danach reute es ihn, und er ging hin. Welcher unter den zweien hat
des Vaters Willen getan?“
Matthäus 21,28-30
.
Mit dieser unerwarteten Frage entwaffnete Jesus seine Zuhörer.
Bis dahin hatten sie der Erzählung des Gleichnisses gut zugehört.
Nun antworteten sie sofort: „Der letzte.“
Matthäus 21,31
. Da schau-
te sie Jesus durchdringend an und erwiderte ernst und würdevoll:
„Wahrlich, ich sage euch: die Zöllner und Huren mögen wohl eher
ins Reich Gottes kommen als ihr. Johannes kam zu euch und lehrte
euch den rechten Weg, und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner
und Huren glaubten ihm. Und ob ihr‘s wohl sahet, tatet ihr dennoch
nicht Buße, daß ihr ihm danach auch geglaubt hättet.“
Matthäus
21,31.32
.
Den Priestern und Obersten des Volkes blieb nichts anderes
übrig, als Jesu Frage klar zu beantworten. Die Erwiderung, die Jesus
erhielt, fiel also zugunsten des zweiten Sohnes aus. Jener Sohn
stellte die Zöllner dar, die von den Pharisäern verachtet und gehaßt
wurden. Tatsache war zwar, daß die Zöllner sich durch und durch
unsittlich verhielten, daß sie Übertreter des Gesetzes Gottes waren
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und durch ihr Leben bezeugten, wie sehr sie sich dessen Forderungen
widersetzten. Auch waren sie undankbar und gottlos; denn dem
Auftrag, in des Herrn Weinberg an die Arbeit zu gehen, hatten sie