Seite 732 - Das Leben Jesu (1973)

Basic HTML-Version

728
Das Leben Jesu
Jesus, ermattet, schwach und mit Wunden bedeckt, wurde ge-
packt und vor den Augen der Menge gegeißelt. „Die Kriegsknechte
aber führten ihn hinein in die Burg, das ist ins Richthaus, und riefen
zusammen die ganze Schar, und sie zogen ihm einen Purpur an und
flochten eine Dornenkrone und setzen sie ihm auf und fingen an, ihn
zu grüßen: Gegrüßet seist du, der Juden König! Und ... spien ihn an
und fielen auf die Knie und huldigten ihm.“
Markus 15,16-19
. Von
Zeit zu Zeit ergriffen einige Boshafte das Rohr, das man Jesus in die
Hand gegeben hatte, und schlugen damit auf die Krone, die seine
Stirn drückte, so daß die Dornen in seine Schläfen drangen und das
Blut an Wangen und Bart herabtropfte.
Wundere dich, Himmel! Und staune, Erde! Seht die Unterdrücker
und den Unterdrückten! Eine wutentbrannte Menschenmenge um-
ringt den Heiland der Welt! Spott und Hohn mischen sich mit gro-
ben Flüchen und Lästerungen. Seine einfache Herkunft und sein
demütiges Leben werden von dem gefühllosen Pöbel als Anlaß zur
Kritik genommen. Sein Anspruch, der Sohn Gottes zu sein, wird ins
Lächerliche gezogen, und gemeine Scherze und kränkender Hohn
machen die Runde.
Satan führte diese unbarmherzige, den Heiland beschimpfende
Schar selbst an. Es war seine Absicht, den Herrn, wenn möglich,
zu einem Vergeltungsschlag zu reizen oder ihn dazu zu bewegen,
zu seiner Befreiung ein Wunder zu wirken und auf diese Weise den
Erlösungsplan zunichte zu machen. Ein einziger Makel auf Jesu
Leben, ein einmaliges Versagen seiner menschlichen Natur beim
Ertragen dieser furchtbaren Prüfung würde genügen, aus dem Lamm
Gottes ein unvollkommenes Opfer zu machen und die Erlösung der
Menschheit zu vereiteln. Aber er, der auf einen Befehl hin die himm-
lischen Heerscharen hätte zu Hilfe rufen können, er, der durch eine
Offenbarung seiner göttlichen Majestät die Menge hätte veranlassen
[734]
können, in panischem Schrecken vor seinem Angesicht zu fliehen
— er unterwarf sich in vollkommenem Schweigen den häßlichsten
Beschimpfungen und Ausschreitungen.
Jesu Feinde hatten als Beweis seiner Gottheit ein Wunder ge-
fordert. Weitaus größere Beweise, als sie überhaupt verlangt hatten,
wurden ihnen zuteil. Wie die Grausamkeit seine Peiniger nicht mehr
menschenwürdig erscheinen ließ und sie zum Ebenbilde Satans
herabzog, so erhoben seine Sanftmut und Geduld Christus über al-