Seite 180 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Patriarchen und Propheten
Gott allein sein. Denn nur Gott konnte Esaus Herz besänftigen. Das
war des Erzvaters ganze Hoffnung.
Es war eine verlassene, bergige Gegend, Schlupfwinkel wilder
Tiere und Versteck von Räubern und Mördern. Einsam und schutzlos
beugte sich Jakob in großer Not zur Erde. Es war Mitternacht und
alles, was ihm das Leben lebenswert machte, weit weg in Gefahr
und Todesnot. Aber das bitterste war der Gedanke, daß seine eigene
Sünde diese Gefahr über die Unschuldigen heraufbeschworen hatte.
Laut weinend betete er zu Gott.
Da legte sich plötzlich eine schwere Hand auf ihn. Er vermute-
te, ein Feind wolle ihm ans Leben, und versuchte, sich dem Griff
des Gegners zu entwinden. In der Dunkelheit rangen beide um die
Oberhand. Keiner sprach ein Wort. Jakob setzte seine ganze Kraft
ein und ließ in seinen Anstrengungen auch nicht einen Augenblick
nach. Während er so um sein Leben kämpfte, lag das Bewußtsein
der Schuld schwer auf ihm; er wurde seiner Sünden gewahr, die sich
trennend zwischen ihn und Gott stellten. Aber in der höchsten Not
erinnerte er sich der Verheißungen Gottes, und von ganzem Herzen
flehte er um seine Gnade.
Der Kampf dauerte bis zumMorgengrauen. Dann legte der Frem-
de seine Hand auf Jakobs Hüfte, und im Augenblick wurde dieser
zum Krüppel. Jetzt erkannte der Erzvater das Wesen seines Gegners.
Er begriff, daß er mit einem himmlischen Boten gekämpft und des-
halb trotz schier übermenschlicher Anstrengung den Sieg nicht hatte
erringen können. Es war Christus, „der Engel des Bundes“ (
Maleachi
3,1
), der sich Jakob offenbarte. Der Patriarch war jetzt kampfunfähig
und litt heftige Schmerzen, aber er wollte seinen Halt nicht verlieren.
Reuig und gebrochen klammerte er sich an den Engel, „er weinte
und bat ihn“ (
Hosea 12,5
) und flehte um seinen Segen. Er mußte
die Gewißheit der Sündenvergebung haben. Auch die körperlichen
Schmerzen konnten ihn nicht von diesem Verlangen abbringen. Sei-
ne Entschlossenheit wurde nur noch größer, sein Glaube ernster und
beharrlicher. Der Engel versuchte, sich zu befreien. Er drängte: „Laß
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mich gehen, denn die Morgenröte bricht an.“ Aber Jakob antwortete:
„Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“
1.Mose 32,27
. Hätte
daraus vermessenes Selbstvertrauen gesprochen, wäre Jakob auf
der Stelle getötet worden. Aber es war die Zuversicht eines Men-