Seite 233 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Mose
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Volk nicht durch Kriege befreien, wie Mose dachte; sondern durch
seine große Macht, ihm allein zur Ehre. Doch benutzte er selbst
diese unbesonnene Tat, um seine Absichten durchzuführen. Mose
war für das große Werk noch nicht gerüstet. Er mußte erst dieselben
Glaubenserfahrungen machen wie Abraham und Jakob, nämlich,
sich nicht auf menschliche Kraft oder Weisheit zu verlassen, sondern
auf Gottes Macht zur Erfüllung seiner Verheißungen. Aber es galt
für Mose, in der Einsamkeit dieser Bergwelt noch mehr Dinge zu
lernen. In der Schule der Selbstverleugnung und Mühsal sollte er
Geduld erwerben, um seine heftigen Gemütsbewegungen zu mäßi-
gen. Ehe er weise regieren konnte, mußte er selbst gehorchen gelernt
haben. Nur in völliger Übereinstimmung mit Gott konnte er Israel
die Erkenntnis des göttlichen Willens vermitteln. Durch eigenes
Erleben sollte er darauf vorbereitet werden, allen Hilfsbedürftigen
gegenüber väterliche Fürsorge zu üben.
Menschlich gesehen wäre solch lange Zeit schwerer Arbeit in der
Verborgenheit nicht nötig gewesen, ja man könnte sie für Zeitverlust
halten. Aber Gottes unendliche Weisheit rief Mose, den künftigen
Führer seines Volkes, für vierzig Jahre in den bescheidenen Dienst
eines Hirten. Die Gewöhnung an selbstlose, fürsorgliche Betreuung
der Herde, die auf diese Weise bei Mose zur Entfaltung kam, berei-
tete ihn zum mitfühlenden, langmütigen Hirten Israels zu. Das war
eine Erfahrung, die keine noch so vorteilhafte menschliche Ausbil-
dung oder Erziehung hätte ersetzen können.
Mose hatte vieles gelernt, das er jetzt vergessen mußte. Alles,
was ihn in Ägypten umgeben und beeinflußt hatte: die Liebe der Pfle-
gemutter und seine hohe Stellung als Enkel des Königs, die allseits
geübte Verschwendung, die Raffinesse und geheimnisvolle Tiefe
einer falschen Religion und der Prunk heidnischen Götzendienstes
wie auch die großartigen Bauwerke und die Bildhauerkunst —, dies
alles hatte seinen entwicklungsfähigen Geist beeindruckt und Cha-
rakter sowie Gewohnheiten bis zu einem gewissen Grade geformt.
Diese Eindrücke konnten nur die Zeit, ein Wechsel der Umgebung
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und der Umgang mit Gott beseitigen. Dem Irrtum zu entsagen und
das Wahre anzunehmen, bedeutete für Mose einen solchen Kampf,
als ginge es um das Leben. Aber Gott würde ihm helfen, wenn der
Widerstreit in ihm seine Kräfte überstieg.