Seite 35 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Die Versuchung und der Sündenfall
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Die Engel hatten Eva davor gewarnt, sich bei ihrer täglichen
Arbeit im Garten von ihrem Manne zu trennen. Mit ihm zusammen
käme sie weniger in die Gefahr der Versuchung als allein. Aber
sie war so in ihre angenehme Beschäftigung vertieft, daß sie sich
unbewußt von seiner Seite entfernte. Als sie merkte, daß sie allein
war, überkam sie eine Ahnung von der Gefahr. Aber sie verscheuchte
ihre Befürchtungen. Besaß sie denn nicht genügend Klugheit und
Kraft, das Böse zu erkennen und ihm zu widerstehen? Vergessen war
die Warnung der Engel. Bald stand sie vor dem verbotenen Baume.
Sie betrachtete ihn aufmerksam und mit einem Gemisch von Neugier
und Staunen. Die Frucht war sehr schön, und Eva fragte sich, weshalb
Gott sie ihnen wohl vorenthielte. Das war die Gelegenheit für den
Versucher. Als ob er die Gedanken ihres Herzens erkennen könnte,
sprach er sie an: „Ja, sollte Gott gesagt haben: ihr sollt nicht essen
von allen Bäumen im Garten?“
1.Mose 3,1
. Eva war überrascht und
erschrocken, als sie das Echo ihrer eigenen Gedanken hörte. Aber
die Schlange lobte Evas außerordentlichen Liebreiz in gefälliger
Weise, und Eva hörte solche Worte nicht ungern. Statt diesen Ort zu
fliehen, zögerte sie in ihrer Verwunderung, eine Schlange sprechen
zu hören. Wäre sie von einem engelähnlichen Wesen angeredet
worden, hätte das Befürchtungen in ihr geweckt. Aber sie dachte
nicht im entferntesten daran, daß diese bezaubernde Schlange ein
Werkzeug des gefallenen Feindes sein könnte.
Auf die verführerische Frage des Versuchers erwiderte sie: „Wir
essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früch-
ten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon,
rühret sie auch nicht an, daß ihr nicht sterbet!“ Da sprach die Schlan-
ge zu Eva: „Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott
weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan,
und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“
1.Mose 3,2-5
.
Sie erklärte ihr, durch den Genuß von diesem Baum erreichten
sie beide eine höhere Daseinsform und beträten ein umfassenderes
Wissensgebiet. Sie selbst habe von der verbotenen Frucht gegessen
und dadurch die Fähigkeit zum Sprechen erlangt. Und sie deutete an,
daß der Herr ihnen die Frucht in eifersüchtiger Weise vorenthalte,
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um sie daran zu hindern, ihm gleich zu werden. Gerade wegen deren
wunderbarer Eigenschaft, Weisheit und Stärke zu verleihen, habe