Seite 540 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Patriarchen und Propheten
hatten sie allerdings auf Gideons Befehl die Jordanfurten besetzt
und damit ein Entkommen der Flüchtlinge verhindert. Auf diese
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Weise waren viele Feinde erschlagen worden, unter ihnen die beiden
Fürsten Oreb und Seeb. So setzten die Ephraimiten den Kampf
fort und halfen mit, den Sieg zu vollenden. Trotzdem waren sie
eifersüchtig und zornig, als ob Gideon seinem eigenen Willen und
Urteil gefolgt wäre. Sie sahen in Israels Sieg nicht Gottes Hand.
Ihnen wurde seine Macht und Gnade bei ihrer Befreiung gar nicht
bewußt. Und allein diese Tatsache bewies, daß sie unwürdig waren,
seine besonderen Werkzeuge zu sein.
Als Gideon mit den Siegeszeichen heimkehrte, machten sie ihm
ärgerlich Vorwürfe:
„Warum hast du uns das angetan, daß du uns nicht riefst, als du
in den Kampf zogst gegen die Midianiter?“
„Was hab ich jetzt getan, das eurer Tat gleich sei?“ fragte Gideon.
„Ist nicht die Nachlese Ephraims besser als die ganze Weinernte
Abiesers? Gott hat die Fürsten der Midianiter, Oreb und Seeb, in
eure Hände gegeben. Was hab ich zu tun vermocht gegen das, was
ihr getan habt?“
Richter 8,1-3
.
Wie leicht hätte ihre Eifersucht zu einem Wortwechsel ausarten
können, der zu Streit und Blutvergießen führte. Aber Gideons be-
scheidene Antwort besänftigte den Zorn der Männer Ephraims, und
sie kehrten friedlich in ihre Heime zurück. So fest und unnachgiebig
Gideon in grundsätzlichen Dingen war, im Kriege ein „streitbarer
Held“, bewies er hier einen Geist der Höflichkeit, wie man ihn selten
findet.
In ihrer Dankbarkeit über die Befreiung von den Midianitern
wollten die Israeliten Gideon zum König machen und den Thron
auch seinen Nachkommen zusichern. Aber dieser Vorschlag war
eine offene Verletzung des Grundsatzes der Gottesherrschaft. Gott
war der König Israels. Hätten sie einen Menschen auf den Thron
gehoben, so wäre das einer Ablehnung des göttlichen Oberherrn
gleichgekommen. Das erkannte Gideon; und seine Antwort zeigt,
wie edel und aufrichtig seine Beweggründe waren. „Ich will nicht
Herrscher über euch sein“, erklärte er, „und mein Sohn soll auch
nicht Herrscher über euch sein, sondern der Herr soll Herrscher über
euch sein.“
Richter 8,23
.