Seite 638 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Patriarchen und Propheten
ihn, sobald er seiner habhaft würde, mit eigener Hand umbringen,
gleichviel, welche Folgen es haben würde.
Aber das verhütete ein Engel, der ihm auf dem Wege begegnete.
Der Geist Gottes kam mit Macht über ihn, so daß Saul im Weiter-
gehen betete, weissagte und geistliche Lieder sang. Er prophezeite
das Kommen des Messias als des Erlösers der Welt. Am Hause
des Propheten in Rama angekommen, legte er das Obergewand, das
Zeichen seiner Würde, ab und saß unter dem Einfluß des göttlichen
Geistes einen ganzen Tag und die ganze Nacht vor Samuel und des-
sen Schülern. Die Leute liefen zusammen, um das seltsame Bild zu
sehen, und erzählten weit und breit, was der König erlebt hatte. So
kam gegen Ende seiner Regierung noch einmal das Sprichwort in
Israel auf: „Ist Saul auch unter den Propheten?“
1.Samuel 19,24
.
Wiederum war die Absicht des Verfolgers vereitelt. Er sicher-
te David zu, Frieden mit ihm halten zu wollen; aber David hatte
wenig Zutrauen zur Reue des Königs. Er benutzte die Gelegenheit
zur Flucht, ehe Saul — wie schon früher — andern Sinnes wurde.
Wunden Herzens sehnte er sich nach einem Wiedersehen mit sei-
nem Freund Jonathan. Im Bewußtsein seiner Unschuld suchte er
den Sohn des Königs auf und klagte in ergreifender Weise: „Was
hab ich getan? Was ist meine Schuld? Was hab ich gesündigt vor
deinem Vater, daß er mir nach dem Leben trachtet?“ Jonathan war
der festen Überzeugung, sein Vater habe seinen Plan inzwischen
aufgegeben und trachte David nicht mehr nach dem Leben. Darum
sagte er zu ihm: „Das sei ferne; du sollst nicht sterben. Siehe, mein
Vater tut nichts, weder Großes noch Kleines, ohne es mir kundzu-
tun. Warum sollte denn mein Vater dies vor mir verbergen? Es ist
nicht so.“ Nachdem sein Vater die Kraft Gottes so auffallend an sich
erfahren hatte, mochte Jonathan nicht glauben, daß er David noch
immer Leid zufügen wolle; das wäre Empörung gegen Gott. Aber
David ließ sich nicht überzeugen. Mit eindringlichem Ernst erklärte
er Jonathan: „So wahr der Herr lebt und so wahr du lebst: es ist nur
ein Schritt zwischen mir und dem Tode!“
1.Samuel 20,1-3
.
Zur Neumondszeit gab es in Israel stets ein feierliches Fest.
Diesmal fiel es auf den Tag nach der Unterredung zwischen David
und Jonathan, die beide an der Tafel des Königs erwartet wurden.
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Aber David fürchtete sich davor, und so verabredeten sie, daß er
seine Brüder in Bethlehem besuchte. Nach seiner Rückkehr sollte er