Seite 68 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Patriarchen und Propheten
er tiefes, zärtliches Verlangen nach diesem erstgeborenen Sohn.
Da erst ging ihm die wunderbare Liebe Gottes zu den Menschen
in der Hingabe seines Sohnes auf und das Vertrauen, das Kinder
Gottes auf ihren himmlischen Vater setzen dürfen. Die unendliche,
unergründliche Liebe Gottes durch Christus beschäftigte ihn Tag
und Nacht. Und mit der ganzen Inbrunst seiner Seele suchte er diese
Liebe seiner Umwelt kundzutun.
Henochs Gemeinschaft mit Gott bekundete sich weder in Verzü-
kkung noch in Gesichten, sondern in den Pflichten des Alltags. Er
wurde kein Einsiedler, der sich von der Welt abschloß. Er hatte ja
in der Welt ein Werk für Gott zu tun. Als Ehemann und Vater, als
Freund und Bürger war er im Umgang mit Menschen der standhafte
Knecht des Herrn.
Er lebte im Einklang mit dem Willen Gottes, denn „können etwa
zwei miteinander wandern, sie seien denn einig untereinander?“
Amos 3,3
. Und dieser fromme Lebenswandel dauerte dreihundert
Jahre. Viele Christen wären wohl ernster und frömmer, wenn sie
wüßten, daß sie nur noch kurze Zeit zu leben hätten, oder daß die
Wiederkunft Christi vor der Tür stünde. Aber Henochs Glaube wurde
im Lauf der Zeit nur um so stärker und seine Liebe inniger.
Henoch war ein Mann mit scharfem Verstand und umfassendem
Wissen, also hochgebildet. Gott zeichnete ihn auch durch besondere
Offenbarungen aus. Und doch blieb er einer der demütigsten Men-
schen, während er in dauernder Gemeinschaft mit dem Himmel lebte
und sich das Gefühl für Gottes Größe und Vollkommenheit bewahrte.
Je enger die Verbindung mit Gott war, desto stärker empfand er seine
Schwachheit und Unvollkommenheit.
Betrübt wegen der überhandnehmenden Bosheit der Gottlosen
und aus Sorge, ihr Unglaube könnte seine Ehrfurcht mindern, ver-
mied Henoch den dauernden Umgang mit ihnen. Er verbrachte viel
Zeit in der Einsamkeit mit stillen Betrachtungen und Gebet. So war-
tete er vor dem Herrn und suchte nach einer klaren Erkenntnis seines
Willens. Für ihn war Gebet das Atmen der Seele. Er lebte ganz unter
dem Einfluß von oben.
Durch heilige Engel offenbarte Gott Henoch seine Absicht, die
Welt durch eine Flut zu vernichten. Er eröffnete ihm auch den Erlö-
sungsplan in umfassenderer Weise. Durch den Geist der Weissagung
führte er ihn durch die Geschlechter, die nach der Flut leben würden,
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