Seite 680 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Patriarchen und Propheten
meinsame Sache mit ihm gemacht — konnte David das Verbrechen
nicht mit der notwendigen gerechten Härte ahnden, doch äußerte
er öffentlich seinen Abscheu über die blutige Tat. Abner wurde mit
Ehren bestattet. Dem Heer mit Joab an der Spitze wurde befohlen,
in zerrissenen Gewändern und in Sackleinen an der Trauerfeier teil-
zunehmen. Der König selbst bekundete seine Trauer, indem er am
Beerdigungstage fastete. Er folgte der Bahre als erster Leidtragender
und brach am Grabe in die Klage aus, die für die Mörder ein scharfer
Vorwurf war: „Mußte Abner sterben, wie ein Gottloser stirbt? Deine
Hände waren nicht gebunden, deine Füße waren nicht in Ketten
gelegt. Und doch bist du gefallen, wie man vor Ruchlosen fällt.“
2.Samuel 3,33.34
.
Davids hochherzige Anerkennung des Mannes, der sein erbitter-
ter Feind gewesen war, gewann ihm das Vertrauen und die Bewun-
derung ganz Israels. „Alles Volk nahm es wahr, und es gefiel ihnen
gut, wie alles, was der König tat, dem ganzen Volke wohlgefiel. Und
alles Volk und ganz Israel merkten an diesem Tage, daß es nicht vom
König ausgegangen war, daß Abner, der Sohn Ners, getötet wurde.“
2.Samuel 3,36.37
. Im engsten Kreis seiner vertrauten Ratgeber und
Begleiter sprach der König von dem Verbrechen. Aber da er sich
bewußt war, daß er die Mörder nicht so bestrafen konnte, wie er es
sich wünschte, überließ er sie dem Urteil Gottes: „Wißt ihr nicht,
daß an diesem Tag ein Fürst und Großer gefallen ist in Israel? Ich
aber bin heute noch schwach, obwohl ich zum König gesalbt bin.
Aber diese Männer, die Söhne der Zeruja, sind härter als ich. Der
Herr vergelte dem, der Böses tut, nach seiner Bosheit.“
2.Samuel
3,38-40
.
Abner war mit seinem Angebot und seiner Einstellung David
gegenüber aufrichtig gewesen, und doch waren die Beweggründe
niedrig und selbstsüchtig. Beharrlich hatte er sich dem von Gott
bestimmten König widersetzt in der Erwartung, daß ihm dies Ruhm
einbrächte. Empfindlichkeit und leidenschaftlicher, gekränkter Stolz
ließen ihn eine Sache verraten, der er so lange gedient hatte. Als
er zu David überwechselte, hoffte er auf die höchste Ehrenstellung.
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Wäre sein Vorhaben gelungen, dann hätte dieser begabte, ehrgeizige
Mann bei seinem großen Einfluß Thron und Reich gefährdet, ganz
abgesehen davon, daß es ihm an Frömmigkeit fehlte.