Seite 708 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Patriarchen und Propheten
Davids Gleichgültigkeit und Unentschlossenheit übertrugen sich
schließlich auf seine Untergebenen. Die Rechtspflege wurde nur
nachlässig und mit Verzögerungen gehandhabt. Geschickt nutzte
Absalom jede Unzufriedenheit darüber zu seinem Vorteil aus. Tag für
Tag sah man ihn in vornehmer Haltung am Stadttor sitzen, wo eine
Schar von Bittstellern darauf wartete, ihm ihre Nöte vorzutragen,
damit er Abhilfe schaffte. Er mischte sich unter sie, hörte auf ihre
Beschwerden und brachte sein Mitgefühl für ihre Sorgen und sein
Bedauern über die Unfähigkeit der Regierung zum Ausdruck. Hatte
sich der Prinz die Geschichte eines Israeliten angehört, erwiderte
er: „Siehe, deine Sache ist gut und recht; aber du hast keinen beim
König, der dich hört.“ Und er fügte hinzu: „O, wer setzt mich zum
Richter im Lande, daß jedermann zu mir käme, der eine Sache und
Gerichtshandel hat, damit ich ihm zum Recht hülfe! Und wenn
jemand ihm nahte und vor ihm niederfallen wollte, so streckte er
seine Hand aus und ergriff ihn und küßte ihn.“
2.Samuel 15,3-5
.
Infolge solch geschickter Anspielungen griff die Unzufriedenheit
schnell um sich. Dagegen war das Lob Absaloms in aller Munde,
Allgemein sah man in ihm den Erben des Reiches. Mit Stolz schaute
das Volk auf ihn. Er wäre dieses hohen Amtes würdig, und sehnlichst
wünschte man, daß er den Thron einnähme. „So stahl Absalom
das Herz der Männer Israels.“
2.Samuel 15,6
. Trotzdem war der
König blind in der Liebe zu seinem Sohne und argwöhnte nichts.
Absaloms fürstlichen Aufwand hielt er für beabsichtigt mit dem Ziel,
seinem Hofe Ehre zu erweisen und der Freude über die Versöhnung
Ausdruck zu verleihen.
Als das Volk auf das, was kommen sollte, genügend vorbereitet
war, sandte Absalom heimlich ausgesuchte Männer zu den Stämmen,
um den geplanten Aufstand zeitlich aufeinander abzustimmen. Und
jetzt hängte er sich zur Tarnung seiner verräterischen Absichten gar
den Mantel der Frömmigkeit um: Er wolle in Hebron ein Gelübde
einlösen, das er vor langer Zeit in der Verbannung abgelegt hatte.
Zum König sagte er: „Ich will hingehen und mein Gelübde in Hebron
erfüllen, das ich dem Herrn gelobt habe. Denn dein Knecht hat ein
Gelübde getan, als ich in Geschur in Aram wohnte, und gesprochen:
Wenn mich der Herr nach Jerusalem zurückbringt, so will ich dem
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Herrn einen Gottesdienst halten.“
2.Samuel 15,7.8
. Erfreut über
die geistliche Haltung seines Sohnes, entließ ihn der leichtgläubige