Seite 714 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Patriarchen und Propheten
daß Gott mit seinen Sünden so lange Geduld gehabt und mit der
verdienten Vergeltung gezögert hatte. Nun war er auf dieser eili-
gen, kummervollen Flucht, in Sackleinen statt in Königsgewänder
gekleidet. Während seine Begleiter laut klagten, dachte er an die
geliebte Stadt, den Tatort seines Vergehens, und war doch nicht ohne
Hoffnung, als er sich der Güte und Langmut Gottes erinnerte. Er
fühlte, der Herr würde in seiner Barmherzigkeit dennoch bei ihm
bleiben.
Manche Übeltäter haben ihre Sünde mit dem Hinweis auf Davids
Fall zu entschuldigen versucht, aber nur wenige brachten seine Reue
und Demut auf. Wer ertrüge Tadel und Vergeltung so geduldig und
tapfer wie er? Er bekannte sein Unrecht und bemühte sich danach
jahrelang, als treuer Diener Gottes seine Pflicht zu tun. Er hatte am
Aufbau des Reiches gearbeitet, das unter seiner Herrschaft stark
geworden und zu nie gekanntem Wohlstand gekommen war. Er hatte
reichlich Baumaterial zur Errichtung des Hauses Gottes zusammen-
gebracht. Sollte nun seine ganze Lebensarbeit vergebens gewesen
sein? Sollten die Früchte jahrelanger Mühe, sollte das durch Opfer
und Staatskunst aufgebaute Werk in die Hände seines rücksichtslo-
sen, verräterischen Sohnes übergehen, der weder Gottes Ehre noch
Israels Wohl achtete? Es wäre verständlich gewesen, wenn David in
dieser großen Trübsal gegen Gott gemurrt hätte.
Aber er sah in seinen eigenen Verfehlungen die Ursache dieser
Schwierigkeiten. Die Worte des Propheten Micha atmen den Geist,
der Davids Herz bewegte: „Wenn ich auch im Finstern sitze, so ist
doch der Herr mein Licht. Ich will des Herrn Zorn tragen — denn
ich habe wider ihn gesündigt —, bis er meine Sache führe und mir
Recht schaffe.“
Micha 7,8.9
. Und der Herr verließ David nicht, der
sich gerade in diesem Lebensabschnitt unter grausamstem Unrecht
demütig, selbstlos und von vornehmer Gesinnung zeigte. Niemals
war Israels Herrscher in den Augen des Himmels so wahrhaft groß
wie in der Stunde seiner tiefsten Erniedrigung.
Hätte David ungestraft in Frieden und Wohlergehen auf dem
Thron bleiben dürfen, könnten Ungläubige dies mit einigem Recht
als Vorwurf gegen die Bibel ins Feld führen. Aber gerade die Erfah-
rung, durch die er gehen mußte, zeigt, daß der Herr Unrecht weder
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dulden noch entschuldigen kann. Und schließlich erkennen wir dar-
aus das große Ziel, weshalb Gott die Sünde bekämpft. Selbst in