Seite 159 - Das Wirken der Apostel (1976)

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Jude und Nichtjude
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Jerusalem war die Hauptstadt der Juden. In ihr begegnete man
ausgeprägtestem Elitedenken und frommer Heuchelei. Die Juden-
christen, die in der Nähe des Tempels lebten, dachten oft über die
besonderen Rechte der Juden als auserwähltem Volk nach. Als sie
nun feststellten, daß die Christengemeinde von den Zeremonien
und Überlieferungen des Judentums abwich und infolgedessen die
besondere Heiligkeit, die man den jüdischen Sitten beigelegt hat-
te, im Lichte des neuen Glaubens aus dem Auge verlieren würde,
ärgerten sich viele über Paulus; denn ihm gaben sie im wesentli-
chen die Schuld für diesen Wandel. Selbst manche Jünger wollten
die Entscheidung des Konzils nicht ohne weiteres annehmen. Ei-
nige eiferten für das Zeremonialgesetz und urteilten abfällig über
Paulus, weil sie meinten, seine Einstellung zu den Forderungen des
jüdischen Gesetzes sei zu oberflächlich.
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Unter den gläubig gewordenen Nichtjuden aber erweckte die
klare und an Folgen reiche Entscheidung des Konzils allgemein
Vertrauen, so daß Gottes Werk gefördert wurde. Die Gemeinde in
Antiochien freute sich außerdem über die Anwesenheit von Judas
und Silas, die als besondere Boten mit den Aposteln vom Konzil
in Jerusalem gekommen waren. Judas und Silas, diese beiden got-
tesfürchtigen Männer, „die auch Propheten waren, ermahnten die
Brüder mit vielen Reden und stärkten sie“. Sie blieben eine Zeitlang
in Antiochien. „Paulus aber und Barnabas blieben in Antiochien,
lehrten und predigten samt vielen andern des Herrn Wort.“
Apostel-
geschichte 15,32.35
.
Als Petrus später Antiochien besuchte, gewann er durch sein
weises Verhalten gegenüber den Bekehrten aus den Nichtjuden das
Vertrauen vieler. Eine Zeitlang handelte er auch in Übereinstimmung
mit dem ihm vom Himmel geschenkten Licht. Er überwand sein
natürliches Vorurteil so weit, daß er mit den bekehrten Heiden sogar
an einem Tische aß. Als aber Judenchristen von Jerusalem kamen,
die für das Zeremonialgesetz eiferten, änderte Petrus unbesonnen
sein Verhalten gegenüber den Bekehrten aus dem Heidentum. „Mit
ihm heuchelten die andern Juden, so daß auch Barnabas verführt
ward, mit ihnen zu heucheln.“
Galater 2,13
. Dieses Offenbarwerden
von Schwäche bei denen, die als Leiter geehrt und geliebt worden
waren, hinterließ einen schmerzlichen Eindruck bei den gläubig ge-
wordenen Nichtjuden. Die Gemeinde drohte sich zu spalten. Paulus