Seite 97 - Das Wirken der Apostel (1976)

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Vom Verfolger zum Jünger
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sehnte Messias, der Trost und Erlöser Israels war. „Mit Zittern und
Schrecken“ (
Apostelgeschichte 9,6, Schlachter
) fragte er: „Herr, was
soll ich tun?“ Der Herr antwortete: „Stehe auf und gehe nach Da-
maskus. Da wird man dir sagen von allem, was dir zu tun verordnet
[120]
ist.“
Apostelgeschichte 22,10
.
Als die Herrlichkeit verschwunden und Saulus aufgestanden war,
stellte er fest, daß er nichts mehr sehen konnte. Der Glanz der Herr-
lichkeit Christi war für seine sterblichen Augen zu stark gewesen;
nun — da er gewichen war — senkte sich dunkle Nacht über ihn.
Saulus hielt diese Blindheit für eine Strafe Gottes, weil er die Nach-
folger Jesu grausam verfolgt hatte. In schrecklicher Finsternis tappte
er umher. Seine Gefährten, selbst von Furcht und Staunen bewegt,
„nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus“.
Apostelgeschichte 9,8
.
Am Morgen jenes ereignisreichen Tages hatte sich Saulus der
Stadt Damaskus voller Genugtuung darüber genähert, daß der Hohe-
priester sein ganzes Vertrauen auf ihn gesetzt hatte. Schwerwiegende
Verantwortlichkeiten waren ihm auferlegt worden. Er war beauftragt
worden, die Belange der jüdischen Religion dadurch zu fördern, daß
er die Ausbreitung des neuen Glaubens in Damaskus möglichst ver-
hinderte. Diesen Auftrag hatte er unbedingt zu einem vollen Erfolg
führen wollen, und so hatte er den Erfahrungen, die ihm bevorstan-
den, erwartungsvoll entgegengeblickt.
Doch wie ganz anders als gedacht war sein Einzug in die Stadt!
Mit Blindheit geschlagen, hilflos, gepeinigt von Gewissensbissen
und in Ungewißheit darüber, welcher Urteilsspruch ihm noch be-
vorstand, suchte er das Haus des Jüngers Judas auf. Dort in der
Einsamkeit hatte er genügend Gelegenheit zum Nachdenken und
Beten.
Saulus „war drei Tage nicht sehend und aß und trank nicht“.
Apostelgeschichte 9,9
. Diese Tage der Seelenqual kamen ihm wie
Jahre vor. Immer wieder wurde ihm schmerzlich bewußt, welchen
Anteil er an dem Märtyrertod des Stephanus gehabt hatte. Mit Ent-
setzen dachte er an die Schuld, die er auf sich geladen hatte, weil
er sich selbst dann noch von dem Haß der Priester und Obersten
[121]
hatte leiten lassen, als Stephanus Angesicht im Glanz des Himmels
erstrahlt war. Bekümmert und zerknirscht dachte er daran, wie oft er
seine Augen und Ohren den eindeutigsten Beweisen verschlossen