Seite 105 - Der gro

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Hus und Hieronymus
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Gottesdienste eingestellt, die Kirchen geschlossen, die Hochzeiten
auf den Kirchhöfen vollzogen und die Toten, da ihnen die Bestattung
in geweihtem Boden versagt war, ohne die übliche Begräbnisfeier in
Gräben oder Feldern zur Ruhe gelegt. Durch diese Maßnahmen, die
tief auf das Vorstellungsvermögen einwirkten, versuchte Rom, die
Gewissen der Menschen zu beherrschen.
In Prag herrschte Aufruhr. Ein großer Teil klagte Hus als den
Urheber alles Unglücks an und verlangte, daß er der Vergeltung
Roms übergeben werde. Um den Aufruhr zu beruhigen, zog sich der
Reformator eine Zeitlang zu Freunden nach Kozi Hrádek und später
nach der Burg Krakovec zurück. In seinen Briefen an seine Freunde
in Prag schrieb er: „Wisset also, daß ich, durch diese Ermahnung
Christi und sein Beispiel geleitet, mich zurückgezogen habe, um
nicht den Bösen Gelegenheit zur ewigen Verdammnis und den Guten
zur Bedrückung und Betrübnis Ursache zu werden; und dann auch,
damit nicht die gottlosen Priester die Predigt des göttlichen Worts
ganz verhindern sollten. Ich bin also nicht deshalb gewichen, damit
durch mich die göttliche Wahrheit verleugnet würde, für welche ich
mit Gottes Beistand zu sterben hoffe.
Hus gab sein Wirken nicht auf, sondern bereiste die umliegende
Gegend und predigte der begierigen Menge. Auf diese Weise wurden
die Maßnahmen, deren sich der Papst bediente, um das Evangelium
zu unterdrücken, zur Ursache seiner weiteren Ausbreitung. „Denn
wir können nichts wider die Wahrheit, sondern für die Wahrheit.“
2.Korinther 13,8
.
„Hus muß in dieser Zeit seiner Laufbahn einen schmerzlichen
Kampf durchgemacht haben. Obgleich die Kirche ihn durch die
Verhängung des Bannes zu überwältigen suchte, hatte er sich nicht
von ihrer Autorität losgesagt. Die römische Kirche war für ihn im-
mer noch die Braut Christi, und der Papst Gottes Stellvertreter und
Statthalter. Hus kämpfte gegen den Mißbrauch der Autorität und
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nicht gegen den Grundsatz selbst. Dadurch entstand ein fürchter-
licher Kampf zwischen den Überzeugungen seiner Vernunft und
den Forderungen seines Gewissens. War die Autorität gerecht und
unfehlbar, wie er doch glaubte, wie kam es, daß er sich gezwungen
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Neander, „Kirchengeschichte“, 6.Per., 2.Abschnitt, 2.Teil, § 47; Bonnechose, „Les
réformateurs avant la réforme du XVI, siécle“, 1.Buch 94.95, Paris, 1845