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Hus und Hieronymus
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Hus‘ Tod hatte nicht die Wirkung gehabt, die Rom erhofft hatte.
Die Verletzung des Sicherheitsgeleites hatte einen Sturm der Ent-
rüstung hervorgerufen, und um einen sicheren Weg einzuschlagen,
beschloß das Konzil, Hieronymus nicht zu verbrennen, sondern ihn,
wenn möglich, zum Widerruf zu zwingen
Man brachte ihn vor die
Versammlung und ließ ihn wählen, entweder zu widerrufen oder auf
dem Scheiterhaufen zu sterben. Am Anfang seiner Kerkerhaft wäre
der Tod für ihn eine Wohltat gewesen im Vergleich mit den schreckli-
chen Leiden, die er ausgestanden hatte; aber jetzt, geschwächt durch
Krankheit, durch die strenge Haft und die Qualen der Angst und
Ungewißheit, getrennt von seinen Freunden und entmutigt durch
den Tod seines Glaubensfreundes Hus, ließ seine Standhaftigkeit
nach, und er willigte ein, sich dem Konzil zu unterwerfen. Er ver-
pflichtete sich, am katholischen Glauben festzuhalten, und stimmte
dem Konzil in der Verdammung der Lehren Wiklifs und Hus‘ bei,
ausgenommen die „heiligen Wahrheiten“
die sie gelehrt hatten.
Durch diesen Ausweg versuchte Hieronymus, die Stimme des
Gewissens zu beruhigen und seinem Schicksal zu entrinnen. Doch in
der Einsamkeit seines Gefängnisses sah er klarer, was er getan hatte.
Er dachte an den Mut und die Treue seines Freundes und erwog im
Gegensatz dazu sein eigenes Verleugnen der Wahrheit. Er dachte
an seinen göttlichen Meister, dem zu dienen er sich verpflichtet
hatte, und der um seinetwillen ans Kreuz gegangen war. Vor seinem
Widerruf hatte er in all seinen Leiden in der Gewißheit der Gnade
Gottes Trost gefunden; jetzt aber quälten ihn Reue und Zweifel. Er
wußte, daß er sich nur durch weitere Widerrufe mit Rom versöhnen
konnte. Der Pfad, den er jetzt betrat, mußte zum völligen Abfall
führen. Sein Entschluß war daher gefaßt: Er wollte seinen Herrn
nicht verleugnen, um einer kurzen Zeit des Leidens zu entrinnen.
Hieronymus wurde abermals vor das Konzil gestellt. Seine Un-
terwerfung hatte seine Richter nicht befriedigt. Ihr durch Hus‘ Tod
gereizter Blutdurst verlangte nach neuen Opfern. Nur durch eine
bedingungslose Absage an die Wahrheit konnte Hieronymus sein
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Leben erhalten. Aber er hatte sich nunmehr fest entschlossen, seinen
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Bonnechose, ebd., 3.Buch, 156; Palacky, „Geschichte Böhmens“, Bd. VI, 312
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Vrie, „Hist. Conc. Const.“, Bd. I, 173-175; Hefele, „Konziliengeschichte“, Bd. VII,
235; Schröckh, „Christliche Kirchengeschichte“, XXXIV, 662f
.