Seite 130 - Der gro

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Der große Kampf
für Büberei und greulich Sünde und Schande gehen ... er sehe, höre
und erfahre es denn. Daher sagt man: ‚Ist irgendeine Hölle, so muß
Rom drauf gebaut sein; denn da gehen alle Sünden im Schwang.‘
Durch einen kurz vorher veröffentlichten Erlaß war vom Papst
allen denen Ablaß verheißen worden, die auf den Knien die „Pilatus-
stiege“ hinaufrutschen würden, von der gesagt wird, unser Heiland
sei darauf herabgestiegen, als er das römische Gerichtshaus verließ,
und sie sei durch ein Wunder von Jerusalem nach Rom gebracht
worden
Luther erklomm eines Tages andächtig diese Treppe, als
plötzlich eine donnerähnliche Stimme zu ihm zu sagen schien: „Der
Gerechte wird seines Glaubens leben!“
Römer 1,17
. In Scham und
Schrecken sprang er auf und floh von dieser Stätte. Jene Bibelstel-
le verlor nie ihre Wirkung auf seine Seele. Von jener Zeit an sah
er deutlicher als je zuvor die Täuschung, auf Menschenwerke zu
vertrauen, um Erlösung zu erlangen, und ebenso deutlich sah er die
Notwendigkeit eines unerschütterlichen Glaubens an die Verdienste
Christi. Seine Augen waren geöffnet worden, um nie wieder ver-
schlossen zu werden. Als er Rom den Rücken kehrte, hatte er sich
auch in seinem Herzen von Rom abgewandt, und von jener Zeit an
wurde die Kluft immer tiefer, bis er schließlich alle Verbindung mit
der päpstlichen Kirche abschnitt.
Einige Zeit nach seiner Rückkehr aus Rom wurde Luther von
der Universität zu Wittenberg der Titel eines Doktors der Theologie
verliehen. Nun stand es ihm frei, sich wie nie zuvor der Heiligen
Schrift zu widmen, die er liebte. Er hatte das feierliche Gelöbnis
abgelegt, alle Tage seines Lebens Gottes Wort, und nicht die Aus-
sprüche und Lehren der Päpste, zu studieren und gewissenhaft zu
predigen. Er war nicht länger der einfache Mönch oder Professor,
sondern der bevollmächtigte Verkünder der Heiligen Schrift; er war
zu einem Hirten berufen, die Herde zu weiden, die nach der Wahrheit
hungerte und dürstete. Mit Bestimmtheit erklärte er, die Christen
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sollten keine anderen Lehren annehmen, als die, welche auf der Au-
torität der Heiligen Schrift beruhten. Diese Worte trafen ganz und
gar die Grundlage der päpstlichen Oberherrschaft; sie enthielten den
wesentlichen Grundsatz der Reformation.
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Luther, EA, LXII 441
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Ranke, „Geschichte im Zeitalter der Reformation“, 8.Auflage, I 200