Seite 135 - Der gro

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Luthers Trennung von Rom
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Viele ergebene Römlinge, welche die in der Kirche herrschende
schreckliche Ungerechtigkeit gesehen und beklagt, aber nicht ge-
wußt hatten, wie sie deren Fortgang aufhalten sollten, lasen die Sätze
mit großer Freude und erkannten in ihnen die Stimme Gottes. Sie
fühlten, daß der Herr gnädig seine Hand ausgestreckt hatte, um die
rasch anschwellende Flut der Verderbnis aufzuhalten, die vom römi-
schen Stuhl ausging. Fürsten und Beamte freuten sich im geheimen,
daß der anmaßenden Gewalt, die behauptete, gegen ihre Beschlüsse
dürfe kein Einwand erhoben werden, Zügel angelegt werden sollten.
Aber die sündenliebende und abergläubische Menge entsetzte
sich, als die Spitzfindigkeiten, die ihre Furcht beseitigt hatten, hin-
weggefegt wurden. Verschlagene Geistliche, die in ihrem Treiben,
das Verbrechen zu billigen, gestört wurden und ihren Gewinn gefähr-
det sahen, gerieten in Wut und vereinigten sich in dem Bemühen,
ihre Behauptungen aufrechtzuerhalten. Der Reformator stieß auf
erbitterte Ankläger. Einige beschuldigten ihn, übereilt und impulsiv
gehandelt zu haben. Andere nannten ihn vermessen und erklärten,
daß er nicht von Gott geleitet werde, sondern aus Stolz und Vor-
eiligkeit handle. „Wer kann eine neue Idee vorbringen“, antwortet
er, „ohne einen Anschein von Hochmut, ohne Beschuldigung der
Streitlust? Weshalb sind Christus und alle Märtyrer getötet worden?
Weil sie stolze Verächter der Wahrheit ihrer Zeit schienen und neue
Ansichten aussprachen, ohne die Organe der alten Meinung demü-
tiglich um Rat zu fragen. Ich will nicht, daß nach Menschen Rat,
sondern nach Gottes Rat geschehe, was ich tue; ist das Werk von
Gott, wer möcht‘s hindern, ist‘s nicht aus Gott, wer möcht‘s fördern?
Es geschehe nicht mein, noch ihr, noch euer, sondern Dein Wille,
heiliger Vater im Himmel!
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Obwohl Luther vom Geist Gottes getrieben worden war, sein
Werk zu beginnen, sollte er es doch nicht ohne schwere Kämpfe
fortführen. Die Vorwürfe seiner Feinde, ihre Mißdeutung seiner
Absichten und ihre ungerechten und boshaften Bemerkungen über
seinen Charakter und seine Beweggründe ergossen sich gleich ei-
ner überstürzenden Flut über ihn und blieben nicht ohne Wirkung.
Er hatte zuversichtlich damit gerechnet, daß die Führer des Volkes
sowohl in der Kirche als auch in der Universität sich ihm bereitwil-
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Enders, Bd. I 126, an Lang 11.10.1517