Seite 194 - Der gro

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Der große Kampf
In einem zweiten Brief, den er auf dem Weg nach Wittenberg
verfaßte, fügte Luther hinzu: „Ich will Eurer Kurfürstlichen Gnaden
Ungunst und der ganzen Welt Zorn ertragen. Die Wittenberger sind
meine Schafe. Gott hat sie mir anvertraut. Ich muß mich für sie in
den Tod begeben. Ich fürchte in Deutschland einen großen Aufstand,
wodurch Gott unser Volk strafen will.
Vorsichtig und demütig, doch fest und entschlossen begann er
sein Werk. „Mit dem Worte“, sagte er, „müssen wir streiten, mit dem
Worte stürzen, was die Gewalt eingeführt hat. Ich will keinen Zwang
gegen Aber- und Ungläubige ... Keiner soll zum Glauben und zu
dem, was des Glaubens ist, gezwungen werden.
Bald wurde in Wittenberg bekannt, daß Luther zurückgekehrt sei
und predigen wolle. Das Volk strömte aus allen Richtungen herbei,
und die Kirche war überfüllt. Luther bestieg die Kanzel und lehrte,
ermahnte und tadelte mit großer Weisheit und Güte. Indem er auf
die Handlungsweise etlicher hinwies, die sich der Gewalt bedient
hatten, um die Messe abzuschaffen, sagte er:
„Die Messe ist ein böses Ding, und Gott ist ihr Feind; sie muß
abgetan werden, und ich wollte, daß in der ganzen Welt allein die
gemeine evangelische Messe gehalten würde. Doch soll man nie-
mand mit dem Haar davonreißen, denn Gott soll man hierin die
Ehre geben und sein Wort allein wirken lassen, nicht unser Zutun
und Werk. Warum? Ich habe nicht in meiner Hand die Herzen der
Menschen, wie der Hafner den Leimen. Wir haben wohl das Recht
der Rede, aber nicht das Recht der Vollziehung. Das Wort sollen wir
predigen, aber die Folge soll allein in seinem Gefallen sein. So ich
nun darein falle, so wird dann aus dem Gezwang oder Gebot ein
Spiegelfechten, ein äußerlich Wesen, ein Affenspiel, aber da ist kein
gut Herz, kein Glaube, keine Liebe. Wo diese drei fehlen, ist ein
Werk nichts; ich wollte nicht einen Birnstiel darauf geben ... Also
wirkt Gott mit seinem Wort mehr, denn wenn du und ich alle Gewalt
auf einen Haufen schmelzen. Also wenn du das Herz hast, so hast
du ihn nun gewonnen ...
Predigen will ich‘s, sagen will ich‘s, schreiben will ich‘s; aber
zwingen, dringen mit der Gewalt will ich niemand, denn der Glaube
1
D‘Aubigné, ebd., 9.Buch, 8.Abschnitt, 53f.
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D‘Aubigné, ebd., 9.Buch, 8.Abschnitt, 53f.