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Die Reformation in Frankreich
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kühneren Maßnahmen. Er wollte nicht nur die Wahrheit verteidigen,
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sondern auch den Irrtum angreifen. Die Anschuldigung der Ketzerei,
welche die Katholiken gegen ihn geltend zu machen suchten, wandte
er gegen sie. Die rührigsten und erbittersten seiner Gegner waren die
gelehrten Doktoren und Mönche an der theologischen Fakultät der
großen Universität Paris, eine der höchsten kirchlichen Autoritäten
sowohl für die Stadt als auch für die Nation. Den Schriften dieser
Doktoren entnahm Berquin zwölf Sätze, die er öffentlich als der Hei-
ligen Schrift zuwiderlaufend und ketzerisch erklärte; und er wandte
sich an den König mit der Bitte, in dieser Sache zu entscheiden.
Der Monarch, der nicht abgeneigt war, die Kraft und den Scharf-
sinn der sich bekämpfenden Führer zu messen, freute sich, eine
Gelegenheit zu haben, den Hochmut dieser stolzen Mönche zu de-
mütigen, und gebot ihnen, ihre Sache mit der Bibel zu verteidigen.
Diese Waffe konnte ihnen, wie sie wohl wußten, wenig helfen; Ein-
kerkerung, Marterqualen und der Scheiterhaufen waren Waffen, die
sie besser zu gebrauchen verstanden. Die Lage hatte sich gewendet,
und sie sahen sich im Begriff, selbst in die Grube zu fallen, in die
sie Berquin stürzen wollten. Ratlos sannen sie auf einen Weg, wie
sie entkommen könnten.
Um diese Zeit war ein an einer Straßenecke aufgestelltes Stand-
bild der Jungfrau Maria verstümmelt worden. In der Stadt herrschte
große Aufregung. Scharenweise strömte das Volk zu der Stätte und
gab seinem Bedauern und seiner Entrüstung über diese Freveltat
Ausdruck. Auch der König war tief betroffen. Hier bot sich eine
Gelegenheit, aus welcher die Mönche großen Vorteil ziehen konn-
ten, und sie zögerten nicht lange. „Dies sind die Früchte der Lehren
Berquins“, riefen sie. „Alles geht seinem Umsturz entgegen — die
Religion, die Gesetze, ja selbst der Thron — infolge dieser lutheri-
schen Verschwörung.
Wiederum setzte man Berquin gefangen. Der König verließ Pa-
ris, und so hatten die Mönche Freiheit, nach eigenem Willen zu
handeln. Der Reformator wurde verhört und zum Tode verurteilt,
und damit Franz zuletzt nicht noch einschritte, ihn zu retten, vollzog
man das Urteil am gleichen Tage, da es ausgesprochen worden war.
Um die Mittagsstunde führte man Berquin zum Richtplatz. Eine un-
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Wylie, ebd., 12.Buch, Kapitel 9, 159