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Die Reformation in Frankreich
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baren Todes und unter der noch schrecklicheren Verdammung der
Kirche bekundete er einen Glauben und Mut, den der junge Student
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schmerzlich mit seiner eigenen Verzweiflung und Finsternis verglich,
während er doch in strengstem Gehorsam gegen die Kirche lebte.
Auf die Bibel, so wußte er, stützten die Ketzer ihren Glauben, und
er entschloß sich, die Heilige Schrift zu studieren, um womöglich
das Geheimnis ihrer Freude zu entdecken.
In der Bibel fand er Christus. „O Vater!“ rief er aus, „sein Opfer
hat deinen Zorn besänftigt, sein Blut hat meine Flecken gereinigt,
sein Kreuz hat meinen Fluch getragen, sein Tod hat für mich Ge-
nugtuung geleistet. Wir hatten viel unnütze Torheiten geschmiedet;
aber du hast mir dein Wort gleich einer Fackel gegeben, und du hast
mein Herz gerührt, damit ich jedes andere Verdienst, ausgenommen
das des Erlösers, verabscheue.
Calvin war für das Priesteramt erzogen worden. Schon im Alter
von zwölf Jahren wurde er zum Kaplan einer kleinen Gemeinde
ernannt. Sein Haupt hatte der Bischof nach den Verordnungen der
Kirche geschoren. Er erhielt weder eine Weihe noch erfüllte er die
Pflichten eines Priesters, aber er war Mitglied der Geistlichkeit, trug
den Titel seines Amtes und erhielt in Anbetracht dessen ein Gehalt.
Als er nun fühlte, daß er nie ein Priester werden würde, widmete
er sich eine Zeitlang dem Studium der Rechte, gab aber schließlich
seinen Vorsatz auf und entschloß sich, sein Leben dem Evangelium
zu weihen. Er zögerte jedoch, öffentlich zu lehren; denn er war von
Natur aus schüchtern. Das Bewußtsein der großen Verantwortlichkeit
einer solchen Stellung lastete schwer auf ihm, und es verlangte ihn
nach weiterem Studium. Schließlich willigte er doch auf die ernsten
Bitten seiner Freunde hin ein. „Wunderbar ist es“, sagte er, „daß
einer von so niedriger Herkunft zu so hoher Würde erhoben werden
sollte.
Ruhig trat Calvin sein Werk an, und seine Worte waren wie der
Tau, der niederfällt, um die Erde zu erquicken. Er hatte Paris verlas-
sen und hielt sich nun in einer Stadt in der Provinz unter dem Schutz
der Prinzessin Magarete auf, den sie auch seinen Jüngern zuteil wer-
den ließ, weil sie das Evangelium liebte. Calvin war noch immer ein
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Calvin, opun. lat. 123
1
Wylie, 13.Buch, Kapitel 9