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Die Reformation in Frankreich
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den in einer Nacht in ganz Frankreich Plakate gegen die Messe
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angeschlagen. Statt die Reformation zu fördern, brachte jedoch die-
ser eifrige aber unkluge Schritt nicht nur seinen Urhebern, sondern
auch den Freunden des reformierten Glaubens in ganz Frankreich
Verderben. Er lieferte den Katholiken den schon lange erwünschten
Vorwand, um die gänzliche Ausrottung der Ketzer als Aufrührer, die
der Sicherheit des Thrones und dem Frieden der Nation gefährlich
wären, zu verlangen.
Von unbekannter Hand — ob der eines unbesonnen Freundes
oder eines verschlagenen Feindes stellte sich nie heraus — wurde ei-
nes der Plakate an der Tür des königlichen Privatgemaches befestigt.
Der Monarch war entsetzt. In dieser Schrift wurden abergläubische
Gebräuche, die jahrhundertelang bestanden hatten, schonungslos an-
gegriffen. Die beispiellose Verwegenheit, diese ungeschminkten und
erschreckenden Äußerungen vor ihn zu bringen, erregte seinen Zorn.
Vor Entsetzen stand er einen Augenblick bebend und sprachlos, dann
brach seine Wut mit den schrecklichen Worten los: „Man ergreife
ohne Unterschied alle, die des Luthertums verdächtigt sind ... Ich
will sie alle ausrotten.
Die Würfel waren gefallen. Der König hatte
entschieden, sich ganz auf die Seite Roms zu stellen.
Sofort wurden Maßnahmen ergriffen, jeden Lutheraner in Paris
zu verhaften. Ein armer Handwerker, Anhänger des reformierten
Glaubens, der die Gläubigen zu ihren geheimen Versammlungen
aufzufordern pflegte, wurde festgenommen, und man gebot ihm un-
ter Androhung des sofortigen Todes auf dem Scheiterhaufen, den
päpstlichen Boten in die Wohnung eines jeden Protestanten in der
Stadt zu führen. Entsetzt schreckte er vor diesem gemeinen Antrag
zurück; doch schließlich siegte die Furcht vor den Flammen, und
er willigte ein, der Verräter seiner Brüder zu werden. Mit der vor
ihm hergetragenen Hostie und von einem Gefolge von Priestern,
Weihrauchträgern, Mönchen und Soldaten umgeben, zog Morin, der
königliche Kriminalrichter mit dem Verräter langsam und schwei-
gend durch die Straßen der Stadt. Der Zug sollte scheinbar zu Ehren
„des heiligen Sakramentes“ sein, eine versöhnende Handlung für
die Beleidigungen, welche die Protestierenden der Messe zugefügt
hatten. Doch unter diesem Aufzug verbarg sich eine tödliche Ab-
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D‘Aubigné, ebd., 4.Buch, Kapitel 10