Seite 282 - Der gro

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Der große Kampf
welches sie die Göttin der Vernunft nannten, geleiteten. Als man
sie innerhalb der Schranken gebracht, mit großer Förmlichkeit ent-
schleiert und zur Rechten des Präsidenten hingesetzt hatte, erkannte
man sie allgemein als eine Tänzerin aus der Oper ... Dieser Person,
der passendsten Vertreterin jener Vernunft, die man anbetete, brachte
die Nationalversammlung Frankreichs öffentliche Huldigung dar.
Jene gottlose und lächerliche Mummerei wurde zu einem ge-
wissen Brauch, und die Einsetzung der Göttin der Vernunft wurde
in der ganzen Nation an allen Orten, wo die Bewohner sich auf der
Höhe der Revolution zeigen wollten, erneuert und nachgeahmt.
Der Redner, der die Anbetung der Vernunft einführte, sagte: „Mit-
glieder der gesetzgebenden Versammlung! Der Fanatismus ist der
Vernunft gewichen. Seine getrübten Augen konnten den Glanz des
Lichts nicht ertragen. Heute hat sich eine unermeßliche Menge in
den gotischen Gewölben versammelt, welche zum erstenmal von
der Stimme der Wahrheit widerhallen. Dort haben die Franzosen die
wahre Anbetung der Freiheit und der Vernunft vollzogen; dort haben
wir neue Wünsche für das Glück der Waffen der Republik ausge-
sprochen; dort haben wir die leblosen Götzen gegen die Vernunft,
dieses belebte Bild, das Meisterwerk der Natur, eingetauscht.
Als die Göttin in den Konvent geführt wurde, nahm der Redner
sie bei der Hand und sagte, indem er sich an die Versammlung
wandte: „‚Sterbliche, hört auf vor dem ohnmächtigen Donner eines
Gottes zu beben, den eure Furcht geschaffen hat. Hinfort erkennet
keine Gottheit außer der Vernunft. Ich stelle euch ihr reinstes und
edelstes Bild vor; müßt ihr Götter haben, so opfert nur solchen wie
dieser ... O Schleier der Vernunft, falle vor dem erlauchten Senat der
Freiheit! ...‘
Nachdem der Präsident die Göttin umarmt hatte, wurde sie auf
einen prächtigen Wagen gesetzt und inmitten eines ungeheuren Ge-
dränges zur Liebfrauenkirche geführt, damit sie dort die Stelle der
Gottheit einnehme. Dann wurde sie auf den Hochaltar gehoben und
von allen Anwesenden verehrt.
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1
Scott, Bd. I. Kapitel 17
1
Thiers, „Histoire de le Révolution francaise“, Bd.II, 370.371
1
Alison, „History of Europe from the Commencement of the French Revolution in
1789 to the Restoration of the Bourbons in 1815“, Bd. I. Kapitel 10