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Die Zerstörung Jerusalems
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Angstgeschrei und Wehklagen; Menschen, die von der Hungers-
not erschöpft im Sterben lagen, rafften alle Kraft zusammen, um
einen letzten Schrei der Angst und der Verlassenheit auszustoßen.
Das Blutbad im Innern war noch schrecklicher als der Anblick von
außen. Männer und Frauen, alt und jung, Aufrührer und Priester,
Kämpfende und um Gnade Flehende wurden unterschiedslos nie-
dergemetzelt. Die Anzahl der Erwürgten überstieg die der Würger.
Die Legionäre mußten über Berge von Toten hinwegsteigen, um ihr
Vertilgungswerk fortsetzen zu können.
Nach der Zerstörung des Tempels fiel bald die ganze Stadt in
die Hände der Römer. Die Obersten der Juden gaben ihre unein-
nehmbar scheinenden Türme auf, und Titus fand sie alle verlassen.
Staunend blickte er auf sie und erklärte, daß Gott sie in seine Hände
gegeben habe; denn keine Kriegsmaschine, wie gewaltig sie auch
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sein mochte, hätte jene staunenswerten Festungsmauern bezwingen
können. Sowohl die Stadt als auch der Tempel wurden bis auf die
Grundmauern geschleift, und der Boden, auf dem das heilige Gebäu-
de gestanden hatte, wurde „wie ein Acker gepflügt“.
Jeremia 6,18
.
Während der Belagerung und bei dem darauffolgenden Gemetzel
kamen über eine Million Menschen ums Leben; die Überlebenden
wurden in die Gefangenschaft geführt, als Sklaven verkauft, nach
Rom geschleppt, um den Triumph des Eroberers zu zieren, sie wur-
den in den Amphitheatern den wilden Tieren vorgeworfen oder als
heimatlose Wanderer über die ganze Erde zerstreut.
Die Juden hatten sich selbst die Fesseln geschmiedet, sich selbst
den Becher der Rache gefüllt. In der vollständigen Vernichtung,
die ihnen als Nation widerfuhr, und in all dem Weh, das ihnen in
die Diaspora (Zerstreuung) nachfolgte, ernteten sie nur, was sie mit
eigenen Händen gesät hatten. Ein Prophet schrieb einst: „Israel, du
bringst dich in Unglück! ... denn du bist gefallen um deiner Missetat
willen.“
Hosea 13,9
;
Hosea 14,2
. Ihre Leiden werden oft als eine
Strafe hingestellt, mit der sie auf direkten Befehl Gottes heimgesucht
wurden. Auf diese Weise sucht der große Betrüger sein eigenes Werk
zu verbergen. Durch eigensinnige Verwerfung der göttlichen Liebe
und Gnade hatten die Juden den Schutz Gottes verwirkt, so daß
1
Josephus, „Geschichte des Jüdischen Krieges“, VI, Kapitel 5; Milman, „History of
the Jews“, 13.Buch