Seite 92 - Der gro

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Der große Kampf
scharte er eine Gruppe einfacher, gottergebener Männer um sich,
welche die Wahrheit liebten und nichts so sehr begehrten, als sie zu
verbreiten. Diese Männer gingen überallhin, lehrten auf den Markt-
plätzen, auf den Straßen der Großstädte und auf den Landwegen,
suchten die Betagten, Kranken und Armen auf und verkündigten
ihnen die frohe Botschaft von der Gnade Gottes.
Als Professor der Theologie in Oxford predigte Wiklif das Wort
Gottes in den Hörsälen der Universität. Er lehrte die Studenten, die
seine Vorlesungen besuchten, die Wahrheit so gewissenhaft, daß er
den Titel „der evangelische Doktor“ erhielt. Die größte Aufgabe
seines Lebens jedoch sollte die Übersetzung der Heiligen Schrift
ins Englische sein. In seinem Buch „Über die Wahrheit und den
Sinn der Heiligen Schrift“ drückte er seine Absicht aus, die Bibel zu
übersetzen, damit sie jeder Engländer in seiner Muttersprache lesen
könne.
Plötzlich wurde seiner Arbeit Halt geboten. Obwohl noch nicht
sechzig Jahre alt, hatten unaufhörliche Arbeit, rastloses Studium
und die Angriffe seiner Feinde seine Kräfte geschwächt und ihn vor
der Zeit altern lassen. Eine gefährliche Krankhei
warf ihn nieder.
Diese Kunde bereitete den Mönchen große Freude. Jetzt, dachten sie,
werde er das Übel, das er der Kirche zugefügt hatte, bitter bereuen;
sie eilten in sein Haus, um seine Beichte zu hören. Vertreter der vier
religiösen Orden mit vier weltlichen Beamten versammelten sich
um den Mann, der sich nach ihrer Meinung zu sterben anschickte.
„Der Tod sitzt euch auf den Lippen“, sagten sie, „denket bußfertig an
eure Sünden, und nehmet in unserer Gegenwart alles zurück, was ihr
gegen uns gesagt habt.“ Der Reformator hörte schweigend zu; dann
bat er seinen Diener, ihn im Bett aufzurichten. Seinen Blick ernst auf
die Wartenden heftend, sagte er mit der festen, starken Stimme, die
sie so oft zittern gemacht hatte: „Ich werde nicht sterben, sondern
leben und die Greuel der Mönche erzählen.
Bestürzt und verwirrt
eilten diese aus dem Zimmer.
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Wiklifs Worte erfüllten sich. Er blieb am Leben, um seinen
Landsleuten die Bibel, die mächtigste aller Waffen gegen Rom, das
vom Himmel bestimmte Werkzeug zur Befreiung, Erleuchtung und
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Wiklif erlitt einen Schlaganfall
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Neander „Kirchengeschichte“, 6.Per., 2.Abschnitt, § 10; Schröckh, „Christliche
Kirchengeschichte“, XXXIV, 525