Seite 95 - Der gro

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John Wiklif
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gessend, forderte er seine Zuhörer vor das göttliche Gericht und
wog ihre Sophistereien und Täuschungen auf der Waage der ewigen
Wahrheit. Die Macht des Heiligen Geistes wurde im Gerichtssaal
spürbar. Gott hielt die Zuhörer in Bann; sie schienen keine Macht zu
haben, die Stätte zu verlassen. Wie Pfeile aus dem Köcher des Herrn
durchbohrten die Worte des Reformators ihre Herzen. Die Anklage
der Ketzerei, die sie gegen ihn vorgebracht hatten, schleuderte er mit
überzeugender Macht auf sie zurück. Aus welchem Grunde, fragte
er, hätten sie sich erkühnt, ihre Irrtümer zu verbreiten? — Um des
Gewinnes willen, um mit der Gnade Gottes Handel zu treiben.
„Mit wem, glaubt ihr“, sagte er zum Schluß, „daß ihr streitet?
Mit einem alten Manne am Rande des Grabes? — Nein! Mit der
Wahrheit, die stärker ist als ihr und euch überwinden wird.
Mit
diesen Worten verließ er die Versammlung. Keiner seiner Feinde
versuchte ihn daran zu hindern.
Wiklifs Aufgabe war nahezu erfüllt; das Banner der Wahrheit,
das er so lange getragen hatte, sollte bald seiner Hand entfallen.
Doch noch einmal mußte er für das Evangelium zeugen. Die Wahr-
heit sollte mitten aus der Festung des Reiches des Irrtums verkündigt
werden. Wiklif wurde aufgefordert, sich vor dem päpstlichen Ge-
richtshof zu Rom, der so oft das Blut der Heiligen vergossen hatte, zu
verantworten. Er war durchaus nicht blind gegen die ihm drohende
Gefahr, wäre dieser Aufforderung aber dennoch gefolgt, hätte ihn
nicht ein Schlaganfall die Reise unmöglich gemacht. Konnte er nun
auch seine Stimme in Rom nicht persönlich zu Gehör bringen, so
wollte er doch durch einen Brief sprechen, und dazu war er bereit.
— Von seiner Pfarre aus schrieb der Reformator einen Brief an den
Papst, der, obwohl in achtungsvollem Ton und christlichem Geist
gehalten, den Pomp und den Stolz des päpstlichen Stuhles heftig
tadelte.
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„Wahrlich, ich freue mich“, sagte er, „jedem den Glauben, den
ich halte, kundzutun und zu erklären und besonders dem Bischof
von Rom, der bereitwilligst meinen dargelegten Glauben, soviel ich
für richtig und wahr halte, bestätigen, oder falls er irrtümlich ist,
berichtigen wird.
1
Wylie, „History of Protestantism“, 2.Buch, Kapitel 13