Seite 97 - Der gro

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John Wiklif
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Wiklif erwartete nichts anderes, als daß seine Treue ihm das
Leben kosten werde. König, Papst und Bischöfe hatten sich vereint,
um seinen Untergang herbeizuführen, und es schien unausweichlich,
daß er in spätestens einigen Monaten den Scheiterhaufen würde
besteigen müssen. Aber sein Mut war unerschüttert. „Man braucht
nicht weit zu gehen, um die Palme der Märtyrer zu suchen“, sagte
er. „Nur das Wort Christi stolzen Bischöfen verkündigt und das
Märtyrertum wird nicht ausbleiben! Leben und schweigen? Niemals!
Mag das Schwert, das über meinem Haupte hängt, getrost fallen!
Ich erwarte den Streich!
Immer noch beschützte Gottes Vorsehung seinen Diener. Der
Mann, der ein ganzes Leben lang unter Lebensgefahr kühn die Wahr-
heit verteidigt hatte, sollte dem Haß seiner Feinde nicht zum Opfer
fallen. Wiklif hatte sich nie selbst zu schützen gesucht, sondern der
Herr war sein Schutz gewesen. Als seine Feinde sich ihrer Beute
sicher glaubten, entrückte ihn Gott ihrem Bereich. Als er im Begriff
war, in seiner Kirche zu Lutterworth das Abendmahl auszuteilen,
fiel er, von Schlag getroffen, nieder und verschied kure Zeit darauf.
Gott hatte Wiklif zu seiner Aufgabe berufen. Er hatte das Wort
der Wahrheit in seinen Mund gelegt und ihn allezeit bewahrt, damit
dies Wort durch ihn ins Volk gelangte. Sein Leben wurde beschützt
und sein Wirken verlängert, bis ein Grundstein für das große Werk
der Erneuerung gelegt war.
Wiklif kam aus der Finsternis des Mittelalters. Niemand war
ihm vorausgegangen, nach dessen Werk er seine reformatorische
Aufgabe hätte planen können. Gleich Johannes dem Täufer erweckt,
eine besondere Mission auszuführen, war er der Herold eines neuen
Zeitalters. In dem Gebäude der Wahrheit, die er verkündigte, bestand
eine Einheit und Vollständigkeit, die von nach ihm aufgetretenen
Reformatoren nicht übertroffen, von etlichen sogar hundert Jahre
später nicht erreicht wurde. So breit und tief, so fest und sicher war
das Fundament angelegt, daß die Reformatoren, die nach ihm kamen,
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darauf weiterbauen konnten.
Die große Bewegung, die Wiklif anbahnte, die das Gewissen
und den Verstand frei machte und die so lange an den Triumphwa-
gen Roms gespannten Völker befreite, hatte ihren Ursprung in der
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D‘Aubigné, „Geschichte der Reformation“, 17.Buch, Kapitel 8